Die Medizintechnik- und Pharmabranche unterliegt strengsten regulatorischen Rahmenbedingungen, da die Produkte direkt das Wohl und die Gesundheit der Patienten beeinflussen. In diesem hochsensiblen Sektor ist Compliance nicht nur eine juristische Notwendigkeit, sondern die Grundlage für das Vertrauen von Anwendern und Aufsichtsbehörden. Der Weg zur Marktzulassung eines Produkts – sei es ein chirurgisches Instrument oder ein In-vitro-Diagnostikum – ist lediglich der erste Schritt in einem langen, kontinuierlichen Prozess der Qualitätssicherung und Risikobewertung. Die juristische Verantwortung endet nicht mit dem Erhalt des CE-Zeichens; sie beginnt im Gegenteil erst richtig mit der tatsächlichen Anwendung des Produkts auf dem Markt. Hersteller müssen daher ein tiefes Verständnis für den Produktlebenszyklus entwickeln und Mechanismen etablieren, die es ihnen ermöglichen, die Sicherheit und Leistung ihrer Produkte aktiv über die gesamte Nutzungsdauer hinweg zu überwachen.
Die Logik des Produktlebenszyklus
Moderne Regulierungen erkennen an, dass die größte Datenbasis über die Sicherheit eines Produkts erst nach der eigentlichen Markteinführung generiert wird. Die Zulassung, die auf klinischen Studien und präklinischen Tests basiert, liefert nur eine Momentaufnahme der Sicherheit unter kontrollierten Bedingungen. Der tatsächliche Einsatz im klinischen Alltag, mit allen Unwägbarkeiten der Anwendung, des Gebrauchs durch verschiedene Anwendergruppen und der Interaktion mit anderen Substanzen, erzeugt die relevanten Langzeitdaten. Die regulatorische Logik verlangt daher von den Herstellern, die technische Dokumentation nicht als statisches Dokument, sondern als lebendiges Archiv zu führen, das kontinuierlich durch neue Informationen aus der Anwendung ergänzt wird. Dieser datengetriebene Ansatz stellt sicher, dass das Risikoprofil eines Produkts zu jedem Zeitpunkt korrekt bewertet wird und Abweichungen oder unvorhergesehene Nebenwirkungen schnell erkannt werden können. Die aktive Pflege des Produktlebenszyklus ist somit die zentrale organisatorische Herausforderung der modernen Compliance.

Die juristische Relevanz der EU-Regularien (MDR/IVDR)
Mit der Einführung der Medical Device Regulation (MDR) und der In-vitro Diagnostic Regulation (IVDR) hat die Europäische Union die Anforderungen an die Produktsicherheit in der Medizintechnik noch einmal drastisch verschärft. Diese neuen Verordnungen ersetzen die alten Richtlinien und legen einen viel stärkeren Fokus auf die aktive Marktüberwachung und die klinische Bewertung nach der Markteinführung. Hersteller sind nun explizit verpflichtet, ein robustes Qualitätsmanagementsystem zu unterhalten, das die gesamte Lieferkette und den Feedback-Prozess vom Anwender abdeckt. Ein entscheidender Punkt ist die eindeutige Benennung einer verantwortlichen Person für die Einhaltung der Vorschriften, die direkt für die Compliance haftet. Die Nichteinhaltung der MDR/IVDR führt nicht nur zum Verlust der Marktzulassung (CE-Zeichen), sondern kann auch hohe Bußgelder und strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsführung nach sich ziehen. Die regulatorische Einhaltung ist somit eine juristische Grundvoraussetzung, ohne die kein Produkt in der EU verbleiben darf.
Kontinuierliche Überwachung als Pflicht
Die Herstellerpflicht erstreckt sich darauf, systematisch Informationen über die Leistung und Sicherheit des Produkts zu sammeln, zu bewerten und zu analysieren, sobald es auf dem Markt ist. Diese aktive Sammlung und Analyse von Daten aus der Anwendung ist nicht optional, sondern gesetzlich verankert, und wird als Post Market Surveillance (https://www.spectrum-md.com/) bezeichnet, deren lückenlose Durchführung das Herzstück der modernen Compliance bildet. PMS umfasst dabei das systematische Sammeln von Anwender-Feedback, die Analyse von Beschwerden und die Auswertung wissenschaftlicher Literatur. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse müssen direkt in das Risikomanagement des Produkts einfließen, um festzustellen, ob Korrekturen, präventive Maßnahmen oder gar ein Rückruf notwendig sind. Ein passives Warten auf Beschwerden reicht nicht aus; stattdessen ist ein proaktives System erforderlich, das kontinuierlich nach Signalen sucht, die auf ein Sicherheitsproblem hindeuten könnten. Die PMS ist somit die kritische Schnittstelle zwischen klinischem Alltag und regulatorischer Dokumentation.
Kerndokumente der Marktüberwachung
Für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im Post-Market-Bereich müssen Hersteller spezifische Dokumente erstellen und pflegen, die den Auditoren als Nachweis dienen.
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PMS-Plan: Ein detaillierter Plan, der festlegt, wie, wann und von wem Daten über die Produktsicherheit gesammelt und analysiert werden.
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PSUR (Periodic Safety Update Report): Ein regelmäßig (je nach Risikoklasse jährlich oder zweijährlich) zu erstellender Bericht, der alle Sicherheitsdaten, Vorfälle und deren Bewertung zusammenfasst.
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Vigilance/Meldewesen: Das System zur schnellen Erkennung und Meldung schwerwiegender Vorkommnisse (Schäden oder Todesfälle) an die zuständigen Behörden innerhalb eng definierter Fristen.
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PMCF (Post Market Clinical Follow-up) Plan: Der Plan zur Durchführung weiterer klinischer Bewertungen am Markt, um verbleibende Restrisiken zu klären und die Langzeitleistung zu bestätigen.
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Trend Reporting: Der Mechanismus zur frühzeitigen Identifizierung statistisch signifikanter Anstiege von weniger schwerwiegenden Vorkommnissen, um präventiv handeln zu können.
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Risikomanagement-Aktualisierung: Der Prozess, durch den die neuen Daten aus der Anwendung in die Risikobewertung des Produkts integriert werden.
Die Schnittstelle von Risikoanalyse und Feedback
Die Daten, die durch die Marktüberwachung (PMS) generiert werden, müssen zwingend in den etablierten Risikomanagementprozess des Herstellers zurückfließen. Jede neue Beschwerde, jeder gemeldete Vorkommnis oder jede neue wissenschaftliche Erkenntnis erfordert eine Neubewertung des Risikoprofils des Produkts. Dabei wird geprüft, ob die ursprünglichen Annahmen zur Wahrscheinlichkeit und Schwere des Schadens noch Gültigkeit besitzen und ob die getroffenen Risikominderungsmaßnahmen noch ausreichend sind. Die Rückkopplungsschleife von der Anwendung zum Risikomanagement ist essenziell, um das Produkt kontinuierlich zu verbessern und das Restrisiko im Sinne der Patienten und Anwender zu senken. Kann ein Hersteller im Audit nicht nachweisen, dass er Beschwerden systematisch ausgewertet und seine Risikodokumentation entsprechend angepasst hat, gilt dies als schwerwiegender Compliance-Mangel. Die PMS-Daten sind somit der Realitäts-Check für die Risikobewertung und zwingen das Unternehmen zur fortlaufenden Produktpflege.
Experteninterview zur Audit-Sicherheit
Dr. Thomas F., Auditor und Zertifizierungsstellenexperte, gibt Einblicke in die Compliance-Prüfung.
Was ist der größte Schwachpunkt, den Auditoren bei der PMS-Prüfung finden? „Der häufigste Fehler ist die mangelnde Proaktivität. Hersteller warten oft auf schwere Vorfälle, anstatt aktiv Daten zu sammeln und Trends zu identifizieren. Das Fehlen eines systematischen, dokumentierten PMCF-Plans ist ein klarer Audit-Mangel.“
Welchen Unterschied sehen Sie zwischen PMCF und PMS? „PMS ist das allgemeine, kontinuierliche Überwachungssystem. PMCF (klinische Nachbeobachtung) ist ein spezifischer, geplanter Prozess, um offene Restrisiken aus der klinischen Bewertung nach der Markteinführung gezielt zu untersuchen und zu bestätigen.“
Wie oft muss die technische Dokumentation angepasst werden? „Sie muss immer dann angepasst werden, wenn relevante neue Informationen vorliegen, was durch das PMS-System erzeugt wird. Die formelle Überprüfung des PSUR (Sicherheitsberichts) erfolgt mindestens jährlich, aber die Dokumente müssen kontinuierlich ‚leben‘.“
Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz in der Datenaggregation? „KI gewinnt enorm an Bedeutung. Sie hilft, große Mengen an unstrukturierten Daten (z.B. aus sozialen Medien oder wissenschaftlichen Datenbanken) schnell nach sicherheitsrelevanten Signalen zu durchsuchen und manuelle Fehler zu minimieren.“
Was ist die größte Konsequenz von Non-Compliance? „Die gravierendste Folge ist der Verlust des CE-Zeichens und damit das sofortige Verbot des Inverkehrbringens und der Rückruf des Produkts. Dies stellt für die meisten Unternehmen einen existenziellen Schaden dar.“
Welchen Rat geben Sie kleinen Herstellern? „Kleine Hersteller sollten sich frühzeitig in die Pflichten einarbeiten und keine manuellen Provisorien schaffen. Die Investition in eine standardisierte, skalierbare Softwarelösung ist günstiger als die Kosten eines Audit-Misserfolgs.“
Vielen Dank für diese klaren und praxisrelevanten Informationen.

Sicherheit als Fundament des Marktvertrauens
Die regulatorischen Anforderungen an die Marktüberwachung sind ein Spiegelbild der Verantwortung, die Hersteller für die Produkte tragen, die sie in Umlauf bringen. Die Post Market Surveillance ist die zentrale organisatorische und juristische Pflicht, die sicherstellt, dass das Vertrauen von Patienten und Anwendern in die Sicherheit der Medizintechnik gerechtfertigt ist. Wer diese Prozesse nicht nur als Compliance-Last, sondern als wertvolle Quelle für Produktverbesserungen betrachtet, sichert nicht nur den regulatorischen Status, sondern auch den langfristigen Erfolg auf dem Markt. Die lückenlose Dokumentation und die aktive Rückkopplung von Daten sind das Fundament, auf dem die Sicherheit der Branche ruht.
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